Sonntag, 31. Januar 2021

Korrupte Intervention

[Triggerwarnung bzgl. Essstörung]

Ich muss zurück. Ab morgen. An den Ort, an dem alles angefangen hat. (Besser gesagt: mein (neues) Leben.) Der Gedanke erfüllt mich mit so vielen Gefühlen, und ich kann keines davon zuordnen. Es ist nicht der Ort an sich; ich war bloß eine andere Person damals. Mit anders meine ich: so krank wie zu keinem Zeitpunkt zuvor. September 2017 ging alles so schnell abwärts, dass sie Maßnahmen ergreifen mussten, um mein Leben zu retten. Ich habe alles daran gehasst. Das Essen. Die Dokumentation darüber, wann und was und wie viel und. Die Gespräche. Jede. Einzelne. Woche. Die Kontrolltermine. Die Nadel in meinem Arm und die Kommentare der Arzthelferinnen. Das Attest, das mir bescheinigt, dass ich tatsächlich dort gewesen bin. Camille, die all das in einem Ordner sammelt.
Natürlich habe ich Widerstand geleistet. Widerstand ist quasi mein zweiter Vorname. Nein - da Ria übersetzt (unter anderem) die Widerspenstige bedeutet, kann ich guten Gewissens sagen: Widerstand ist mein Name. Mit einem eher schlechten Gewissen denke ich an all die Lügen, die ich erzählt habe. Jahrelang. Cheza ist die einzige Person, die ich nicht angelogen habe. Nie.
[Zwar habe ich ihr meine Gefühle verschwiegen. Aber das ist eine andere Geschichte.] Gehasst habe ich trotzdem, wie sie mir die Worte in den Mund gelegt hat.
Es hat dann noch ein halbes Jahr gedauert - in dem ich nicht tot, aber längst noch nicht lebendig gewesen bin. Ich bin mitten in der Zeit verloren gegangen. Eine Mischung aus Dissoziation und einem Körper, der einfach nicht mehr kann. Dann habe ich den Widerstand aufgegeben. Und angefangen, f ü r mich zu arbeiten, weil ich ein Ziel gefunden hatte. Eben an besagtem Ort; ein Ort an dem Schmetterlinge in Köpfen und Pyramiden auf der Zunge eines Mannes existiert haben. Das Schlimmste jedoch ist: der Ort erinnert mich nicht nur an die Version von Ria, die damals existiert hat. Wie durch Zufall ist er räumlich nah dran an etwas... das beendet, aber nicht vorbei ist. (Cheza. Wieso muss Cheza sich eigentlich überall einmischen?)
Die Entfernung lässt sich nicht in Metern oder Minuten, sondern besser in Schritten messen. Das ist eindeutig zu nah dran. Wie soll ich mich zurückhalten? Wenn es so einfach wäre, vor ihrer Tür zu stehen? Und auch andere Dinge - Dinge, die niemand tun würde, der noch einigermaßen bei Verstand ist - werden plötzlich viel zu einfach. Viel zu einfach auch in der Dunkelheit. Andererseits: ich habe jahrelange Übung darin, mich Cheza gegenüber zurückzuhalten. Ich habe Zurückhaltung quasi perfektioniert. [Trotzdem bin ich viel zu viel. Aber das ist auch wieder ein anderes Thema.] Außerdem habe ich gar keine Wahl, und die Tage lassen sich ja auch an... vier Händen abzählen. Das wird schon. Das wird schon.

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