Freitag, 31. Dezember 2021

Bloß ein Jahresabschlusspost

Vor ein paar Tagen bin ich bei einer Freundin gewesen. Eine Weile drehte sich unser Gespräch um die Dinge, die besagte Freundin gerne tun würde, und die Gründe, aus denen das im Moment nicht möglich ist. Und ich dachte So ist das in meinem Leben aber nicht. Bis mir klar wurde: doch. Auch in meinem Leben gibt es eine Vielzahl von Dingen, die ich gerne tun würde. Und anders als Samira habe ich nicht einen guten Grund, aus dem das im Moment nicht geht. Mein letzter guter Grund war das Examen im Frühjahr/Sommer, aber seitdem? Ich arbeite.
Und das erschöpft mich. Und obwohl ich mir meinen Therapieplan so zurecht gebastelt habe, dass ich keine 10 Stunden mehr außer Haus bin sondern nur noch 9 Stunden erschöpft mich das trotzdem. Aber das kann's doch jetzt echt nicht sein? Also, dass alle anderen Dinge dann hinten über fallen? Sagt man das so? Nicht mal an den Wochenenden habe ich Zeit, weil ich wahlweise mit Emotionsflucht und/oder Depressionen schieben beschäftigt bin.

Das ist aber nicht das Leben, das ich führen möchte. Ich möchte auch kein Leben führen, in dem ich immer auf Situation x warten muss, um glücklich(er) sein zu können. Nein, ich wäre gerne von alleine glücklich(er). Bloß habe ich (noch) keinen blassen Schimmer, wie das funktionieren soll, oder ob diese zwei Dinge nicht vielleicht sogar zusammen hängen. So, und um jetzt mal zum Punkt zu kommen: normalerweise fasse ich keine Neujahrsvorsätze. Aber nächstes Jahr muss ich diese Dinge-tun-Sache (Wie vage willst du dich ausdrücken, Ria? - Ja.) irgendwie in den Griff kriegen. Obwohl damit wahrscheinlich einher geht, nicht immer vor Gefühlen wegzurennen, sondern mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Und ich vermute, dass ich mich "einfach" ein wenig zwingen muss zu meinem Glück; vielleicht muss ich mir sogar die Erlaubnis dafür geben: Ja, ich darf glücklich sein. Auch wenn sie nicht hier ist. Auch ohne sie.

Sonntag, 26. Dezember 2021

i saw phantom apparitions dance // and are we really safe and on our own?

[Triggerwarnung bzgl. Alkohol/SVV. Außerdem ist dieser Post zu lang und hat keinen Inhalt.]

Donnerstag, 23.12.21
Ich freue mich nicht auf Weihnachten. So, nun habe ich's endlich zugegeben. Ich habe den Eindruck, dass man das ja keinem erzählen kann; zumindest keinem Umfeld, in dem alle so weihnachtsbegeistert zu sein scheinen. Meint: meine Kolleginnen. Die eine schwärmt vom Essen und von der Ruhe - ?! - die andere von ihrer Familie. Und ich sitze da und bin nicht dazu in der Lage, mich wenigstens ein kleines bisschen zu freuen, nicht auf das Essen oder auf die Geschenke, und schon gar nicht auf meine Familie. Mein Highlight in dieser Weihnachtszeit waren definitiv meine Therapiekinder - unter anderem ein Vierjähriger, der vor Aufregung fast vom Stuhl gefallen ist, als ich ihm gesagt habe, dass er am Ende der Stunde ein Türchen vom Adventskalender aufmachen darf. Und noch ein Vierjähriger, der vor Freude gar nicht mehr klar gekommen ist, als es während der Therapie angefangen hat zu schneien. ("Es schneet! Es schneet!") Und ein Achtjähriger, der bei der Aussicht darauf, in der nächsten Stunde mit seiner Schwester und mir Plätzchen zu backen, wahrscheinlich eine Woche lang nicht schlafen konnte.

[Ich würde hier gerne noch weiter schreiben, aber ich muss jetzt zum Bahnhof fahren, mich in den Zug setzen und zu meiner Familie fahren. Später mehr.]

Freitag, 24.12.21
Minimal den Faden verloren; ich freue mich also nicht auf Weihnachten. Und es ist gut, das endlich sagen zu können, weil ich glaube, dass es mir die letzten Jahre auch schon so ging, und ich mich immer nur dafür verurteilt habe. Stattdessen freue ich mich darauf, dass ich 10 Nächte lang wieder die Sterne aus dem Schlafzimmerfenster sehen kann. Ich freue mich darauf, dass ich in dieser Wohnung einen Backofen habe und ganz viele Sachen essen kann, die man mit Käse überbackt. Ich freue mich darauf, dass ich wahrscheinlich Sapphire und Keara treffen werde. Und ich habe die Hoffnung, dass sich mein klitzekleines Vielleicht erfüllt - aber wenn das nicht passiert, ist es auch in Ordnung. Schließlich sind es - wenn alles nach Plan läuft - "nur noch" 5 Wochen. Und bis dahin trage ich sie in meinem Kopf und halte die Zeit an, hin und wieder mal.

Their faces melt reflections on the wind
Or are they out there watching?
As time stands still this Christmas day
Shadow Gallery - Comfort Me

Samstag, 25.12.21
Eigentlich sollte der Post am Freitag schon kommen, aber beim Drüberlesen ist mir aufgefallen, dass das so nicht stimmt - ich freue mich nicht auf mein "Stattdessen". Diese Dinge sind es, die den Urlaub erträglich machen, aber Freude ist nicht vorzufinden. Da ist überhaupt.kein.Gefühl vorzufinden. Auch in Situationen, in denen etwas da sein sollte, ist da bloß ein schlechtes Gewissen und ich frage mich, was genau bei mir gerade mal wieder kaputt ist.

Konkret meine ich Situationen, in denen Patient:innen mir etwas schenken. Damit kann ich nicht gut umgehen - da hat sich jemand a) Gedanken gemacht und b) Geld investiert, um mir eine Freude zu machen... Und ich sitze bloß wieder da und fühle mich schlecht weil ich das
a) überhaupt nicht verdiene und b) nicht in der Position bin, etwas zurück zu schenken.
Dann denke ich, dass diese Geschenke wahrscheinlich der Versuch sind, m i r etwas zurück zu geben. Weil die Patient:innen zu m i r kommen und von m i r etwas wollen, und ich glaube, manche haben das Gefühl, dass ich so viel für sie tue, und möchten sich deswegen bedanken.
Die einen tun das dann mit Worten ("Ich bin so froh, dass ich Sie habe, ich wüsste nicht wie ich meinem Sohn sonst helfen sollte.") und die anderen eben mit wahlweise Süßigkeiten, selbstgebackenen Plätzchen, Tee oder etwas Alkoholischem. (*)

So begründe ich mir das dann: ich habe zuerst etwas "geleistet", da muss ich mich nicht schlecht fühlen, wenn ich ein Geschenk bekomme. Trotzdem sollte da noch irgendein anderes Gefühl sein, aber am Ende der Stunde ziehe ich meinen Mantel an und denke, dass ich vor 751 Tagen aufgehört habe zu fühlen, und mir ist, als müsste ich meine Haut öffnen mit einem scharfen Gegenstand und nachsehen, ob überhaupt noch irgendetwas ist in mir -

(*) Ich hätte nicht gedacht, dass das so triggert, bis ich das Papier geöffnet und den Alkohol gesehen habe. Und ich habe mich bedankt und hab's in meine Tasche gesteckt, weil ich's in der Praxis nicht liegen lassen kann, und zuhause ist es in eine Schublade gewandert und ich habe versucht zu vergessen, aber die Wahrheit ist, dass ich seitdem - seit fast 2 Wochen jetzt - ein unglaubliches Verlangen danach habe, mich zu betrinken, weil ich dann zumindest wieder irgendetwas fühlen würde. Aber wahrscheinlich kann ich, wenn ich anfange zu trinken, die nächsten 5 Tage nicht damit aufhören und das geht nicht. Und irgendwie muss ich dieses Geschenk ja auch wertschätzen, also kann ich nicht komplett abstürzen, das geht auch nicht.

Seit gestern ist das Geschenk dann auch Geschichte, weil ich es mitgenommen habe zu meiner Familie, aber ich habe hier Vodka, Cointreau, Ramazotti und zwei verschiedene Sorten Gin, und ich meine, es ist schließlich Wochenende, und Weihnachten ist es auch, aber es ist auch
13:30 Uhr und wenn ich gleich nicht
irgendetwas tue, endet das hier gar nicht gut.

Sonntag, 26.12.21
Ich bin noch immer so müde von gestern
Und suche bei Netflix nach einem Western
Die Jungs mit Revolvern helfen vergessen
Dass man trinkt um zu vergessen
AnnenMayKantereit - Ich geh heut nicht mehr tanzen

Ich warte noch immer darauf, dass ich wieder fühlen kann. Nach moderaten 2 1/2 Drinks wird mir klar, dass das auch keine Lösung ist. Ich werde wohl einfach warten - auch wenn ich nicht genau weiß, auf was. Im Warten bin ich schließlich Expertin. Sowieso entsteht mein ganzer "Zustand" auch nur dadurch, dass ich nie zufrieden sein kann. Ja, natürlich ist das wieder meine Schuld. Noch vor ein paar Wochen habe ich es nicht ertragen, dass ich die Dezember-Gefühle fühlen muss, jetzt sind die irgendwie weg, und das ist mir auch nicht Recht. Keine Ahnung. Ich werde in der nächsten Woche versuchen, meinen Urlaub so gut es geht zu genießen, und Anfang Januar kann ich dann x, Ende Januar hoffentlich y, und dann bin ich glücklicher. Bestimmt.

Sonntag, 19. Dezember 2021

vorsatz

manchmal wünschte ich, es würde eine anleitung geben für uns. so wie früher, als wir zwei einfache bezeichnungen getragen haben, die jeweils mit einer rollenbeschreibung versehen waren. immer bitte und danke sagen - nein, schon das ist falsch: du bittest sie um nichts - also immer danke, danke, danke sagen, ihr brav diese tür aufhalten und die nächste auch, ihre zeit mit unnützen dingen nicht verschwenden, bloß nicht zu sehr auseinander fallen, denn du kannst ihr nicht zumuten, dich wieder zusammenzusetzen, und auf gar keinen fall lässt du dir anmerken, dass dein herz jedes mal fast zerfließt in ihrer gegenwart, du hast diese gefühle überhaupt nicht zu haben. nein - das ist nicht die rollenbeschreibung, sondern das was mein verquerter kopf daraus gemacht hat. bis auf danke, danke, danke sagen ist davon nichts übrig geblieben; die türen halten wir uns gegenseitig auf, immer abwechselnd, eine nach der anderen, als hätten wir es einstudiert. doch dazu müsste ich natürlich dort sein. bin ich aber nicht. denn meine bezeichnung lautet jetzt irgendwas mit "ex" - das aber auch nicht so richtig - irgendwie nur so halb, immer nur mittwochs und an geraden tagen. und vielleicht ist ihre bezeichnung auch irgendwas mit "ex" - bloß ist sie gleichzeitig auch mein zuhause, jetzt, für immer eigentlich, und daraus resultiert dann, dass ich die dinge, die ich haben möchte, niemals werde bekommen können, und ich nicht weiß, was ich tun soll. ich weiß nicht mal, was in dieser anleitung stehen würde, wenn es denn eine gäbe; wenn ich all meine fantasie bemühe, dann... nein, wenn ich den realismus zusammen sammle und die erste seite aufschlage, kann ich erahnen, dass schon das vorwort den begriff "loslassen" enthält. es ist anzunehmen, dass die folgenden kapitel gefüllt sind mit möglichkeiten, dies zu tun, ohne dass das eigene herz in der brust zerreißt. sie sind also allesamt leer, diese seiten - mit ähnlicher leere gefüllt wie meine augen, wenn ich in den spiegel sehe - aber nicht zu vergleichen mit der leere, die in meinem leben herrscht, seit es keine worte mehr gibt für uns. denn diese art von leere lässt sich mit nichts sonst vergleichen. mit nichts.

Sonntag, 12. Dezember 2021

and i fall into a hole, and i can take no more

I see the doors that I can't open
Adding locks from time to time
When it opens something blocks me
And I'm asking myself why?

Die Zeit, die ich damit zubringe, auf den blinkenden Cursor zu starren, lässt vermuten, dass ich eine Schreibblockade habe. Vielleicht stimmt das; ich bin aber nicht nur schreibblockiert. Ich habe das Gefühl, als seien die Worte blockiert, ganz egal auf welche Weise ich versuche, sie rauszulassen. Sei es eine WhatsApp-Nachricht, ein Telefonat, oder eine simple Unterhaltung mit den Kollegen auf der Arbeit. Wobei Letzteres noch über die Bühne gebracht werden kann. Obwohl - oder vielleicht gerade weil - es sich dabei um Smalltalk handelt. Das hat auch nichts mehr damit zu tun, dass ich nun mal eben einen Sprechberuf habe und mich am Ende eines Arbeitstages manchmal selbst nicht mehr reden hören kann.

Es hat damit zu tun, dass ich die Türen nicht öffnen kann. Anfangs "darf" ich einen flüchtigen Blick riskieren: da ist die Trauma-Tür, die Dezember-Tür, hinter der sich die Weihnachts- und die Cheza-Tür verbergen. Dann ist da noch eine separate Cheza-Tür - das ist die direkt neben der Depressions- und Suizidalitäts-Tür. Wenn mir bewusst wird, welche Inhalte sich dahinter verbergen, beschließe ich die Türen auf gar keinen Fall zu öffnen, sondern lieber noch ein zusätzliches Schloss daran anzubringen. Nur leider habe ich da kein Mitspracherecht. Denn kaum nähere ich mich, werde ich von dem Dahinter wie von einer Flutwelle überrollt. Ich kämpfe mich dann an die Oberfläche und versuche, den Kopf über Wasser zu halten. Sobald ich wieder Land sehen kann, versuche ich mir einen ruhigen Moment zu nehmen, um mir anzuschauen, was genau sich hinter der Tür verbirgt, um im besten Fall Lösungen zu finden, damit mir das Thema nicht immer wieder um die Ohren fliegt - und dann geht das blöde Teil nicht auf. Ich finde einfach keinen Zugang. Ausgerecht jetzt, wo ich wirklich gerne... nein, wo es notwendig wäre, das Dahinter zu betreten, klemmt das verdammte Schloss. Ich stehe wie ein Idiot davor, immer noch mit tropfnasser Kleidung.

Mir ist bewusst, dass es irgendwo auch eine Zukunfts-Tür gibt, aber ich weiß nicht, an welcher Stelle die sich befindet - nicht mal an welchem Ort ich danach suchen sollte. Die letzten Türen, durch die ich gestolpert gegangen bin, haben dann nämlich doch wieder in die Vergangenheit geführt. Aber irgendwo muss es mehr geben als Vergangenheit - rede ich mir ein. Weil ich genau weiß dass ich es nicht ertrage, mich wieder und wieder und wieder so zu fühlen.

What's behind the door I wonder
Must be brighter than my past
Will I feel a little different
When I take myself across?
Infected Mushroom - In Front Of Me

Dienstag, 7. Dezember 2021

you should know i am falling to pieces without you here

 

Könnte ich den Song falten wie einen DIN A4 Zettel, dann würde ich ihn in einen Briefumschlag stecken und Dir mit der Post schicken. Mit besten Weihnachtsgrüßen. Kann ich aber nicht, was gut ist aus zwei Gründen: 1) Das Lied würde Dir nicht gefallen - Du würdest es vermutlich irgendwo zwischen "Gestohlener Lebenszeit" und "Lärmbelästigung" einsortieren - und 2) So muss ich nicht gestehen, wie "tief gesunken" ich schon wieder bin. Um diesen Song (oder: Dead by April allgemein) zu hören muss ich nämlich in einer ganz besonderen Stimmung sein. Weltuntergangsstimmung. Jetzt kann ich einfach verschweigen, dass ich vor ein paar Tagen einen Post geschrieben habe, in dem ich mich mit meinen immer wiederkehrenden Anflügen von Suizidalität auseinandergesetzt habe. Die ist inzwischen fast überwunden; dafür geht es mir im Moment anders schlecht. Jetzt muss ich nämlich wieder Gefühle fühlen. Ein paar Tage lang war ich so naiv zu glauben, dass ich diesen Dezember ungeschoren davonkomme, aber... Nein. Ich kann nicht mehr aufhören daran zu denken; an Dich zu denken. Ich möchte doch nur nach Hause. Etwas in mir weint und tobt vor Verzweiflung - gerade wo ich dachte, genug Fortschritte gemacht zu haben, um mir bei d e m Gedanken nicht mehr die Lunge aus dem Hals schreien zu wollen. Aber noch immer falle ich auseinander, so wie das erste letzte Mal. Es ist auch egal an welchem Ort und zu welcher Zeit ich - offiziell - bin; überall umklammere ich bloß meine Teetasse und weine in meinen Kuchen. Öffne ich mit viel zu kalten Fingern ein Geschenk, das in dunkelblaues Papier eingepackt ist. Schaue ich abwechselnd aus dem Fenster und in das Buch, aus dem ich Dir vorlese. Beschließt Du nach monatelangem Warten gnädigerweise mich nicht zu Deinen Füßen sterben zu lassen. Da spricht vielleicht ein klein wenig Wut aus mir. Aber dann denke ich an die mehr als perfekten Momente. Die habe ich ja auch gesammelt, schriftlich, weil man die leider nicht ein Glas packen und nochmal erleben kann. Das ist schade. Ich würde gerade so dringend einen davon brauchen - und das nicht nur auf dem Papier.