Sonntag, 26. Dezember 2021

i saw phantom apparitions dance // and are we really safe and on our own?

[Triggerwarnung bzgl. Alkohol/SVV. Außerdem ist dieser Post zu lang und hat keinen Inhalt.]

Donnerstag, 23.12.21
Ich freue mich nicht auf Weihnachten. So, nun habe ich's endlich zugegeben. Ich habe den Eindruck, dass man das ja keinem erzählen kann; zumindest keinem Umfeld, in dem alle so weihnachtsbegeistert zu sein scheinen. Meint: meine Kolleginnen. Die eine schwärmt vom Essen und von der Ruhe - ?! - die andere von ihrer Familie. Und ich sitze da und bin nicht dazu in der Lage, mich wenigstens ein kleines bisschen zu freuen, nicht auf das Essen oder auf die Geschenke, und schon gar nicht auf meine Familie. Mein Highlight in dieser Weihnachtszeit waren definitiv meine Therapiekinder - unter anderem ein Vierjähriger, der vor Aufregung fast vom Stuhl gefallen ist, als ich ihm gesagt habe, dass er am Ende der Stunde ein Türchen vom Adventskalender aufmachen darf. Und noch ein Vierjähriger, der vor Freude gar nicht mehr klar gekommen ist, als es während der Therapie angefangen hat zu schneien. ("Es schneet! Es schneet!") Und ein Achtjähriger, der bei der Aussicht darauf, in der nächsten Stunde mit seiner Schwester und mir Plätzchen zu backen, wahrscheinlich eine Woche lang nicht schlafen konnte.

[Ich würde hier gerne noch weiter schreiben, aber ich muss jetzt zum Bahnhof fahren, mich in den Zug setzen und zu meiner Familie fahren. Später mehr.]

Freitag, 24.12.21
Minimal den Faden verloren; ich freue mich also nicht auf Weihnachten. Und es ist gut, das endlich sagen zu können, weil ich glaube, dass es mir die letzten Jahre auch schon so ging, und ich mich immer nur dafür verurteilt habe. Stattdessen freue ich mich darauf, dass ich 10 Nächte lang wieder die Sterne aus dem Schlafzimmerfenster sehen kann. Ich freue mich darauf, dass ich in dieser Wohnung einen Backofen habe und ganz viele Sachen essen kann, die man mit Käse überbackt. Ich freue mich darauf, dass ich wahrscheinlich Sapphire und Keara treffen werde. Und ich habe die Hoffnung, dass sich mein klitzekleines Vielleicht erfüllt - aber wenn das nicht passiert, ist es auch in Ordnung. Schließlich sind es - wenn alles nach Plan läuft - "nur noch" 5 Wochen. Und bis dahin trage ich sie in meinem Kopf und halte die Zeit an, hin und wieder mal.

Their faces melt reflections on the wind
Or are they out there watching?
As time stands still this Christmas day
Shadow Gallery - Comfort Me

Samstag, 25.12.21
Eigentlich sollte der Post am Freitag schon kommen, aber beim Drüberlesen ist mir aufgefallen, dass das so nicht stimmt - ich freue mich nicht auf mein "Stattdessen". Diese Dinge sind es, die den Urlaub erträglich machen, aber Freude ist nicht vorzufinden. Da ist überhaupt.kein.Gefühl vorzufinden. Auch in Situationen, in denen etwas da sein sollte, ist da bloß ein schlechtes Gewissen und ich frage mich, was genau bei mir gerade mal wieder kaputt ist.

Konkret meine ich Situationen, in denen Patient:innen mir etwas schenken. Damit kann ich nicht gut umgehen - da hat sich jemand a) Gedanken gemacht und b) Geld investiert, um mir eine Freude zu machen... Und ich sitze bloß wieder da und fühle mich schlecht weil ich das
a) überhaupt nicht verdiene und b) nicht in der Position bin, etwas zurück zu schenken.
Dann denke ich, dass diese Geschenke wahrscheinlich der Versuch sind, m i r etwas zurück zu geben. Weil die Patient:innen zu m i r kommen und von m i r etwas wollen, und ich glaube, manche haben das Gefühl, dass ich so viel für sie tue, und möchten sich deswegen bedanken.
Die einen tun das dann mit Worten ("Ich bin so froh, dass ich Sie habe, ich wüsste nicht wie ich meinem Sohn sonst helfen sollte.") und die anderen eben mit wahlweise Süßigkeiten, selbstgebackenen Plätzchen, Tee oder etwas Alkoholischem. (*)

So begründe ich mir das dann: ich habe zuerst etwas "geleistet", da muss ich mich nicht schlecht fühlen, wenn ich ein Geschenk bekomme. Trotzdem sollte da noch irgendein anderes Gefühl sein, aber am Ende der Stunde ziehe ich meinen Mantel an und denke, dass ich vor 751 Tagen aufgehört habe zu fühlen, und mir ist, als müsste ich meine Haut öffnen mit einem scharfen Gegenstand und nachsehen, ob überhaupt noch irgendetwas ist in mir -

(*) Ich hätte nicht gedacht, dass das so triggert, bis ich das Papier geöffnet und den Alkohol gesehen habe. Und ich habe mich bedankt und hab's in meine Tasche gesteckt, weil ich's in der Praxis nicht liegen lassen kann, und zuhause ist es in eine Schublade gewandert und ich habe versucht zu vergessen, aber die Wahrheit ist, dass ich seitdem - seit fast 2 Wochen jetzt - ein unglaubliches Verlangen danach habe, mich zu betrinken, weil ich dann zumindest wieder irgendetwas fühlen würde. Aber wahrscheinlich kann ich, wenn ich anfange zu trinken, die nächsten 5 Tage nicht damit aufhören und das geht nicht. Und irgendwie muss ich dieses Geschenk ja auch wertschätzen, also kann ich nicht komplett abstürzen, das geht auch nicht.

Seit gestern ist das Geschenk dann auch Geschichte, weil ich es mitgenommen habe zu meiner Familie, aber ich habe hier Vodka, Cointreau, Ramazotti und zwei verschiedene Sorten Gin, und ich meine, es ist schließlich Wochenende, und Weihnachten ist es auch, aber es ist auch
13:30 Uhr und wenn ich gleich nicht
irgendetwas tue, endet das hier gar nicht gut.

Sonntag, 26.12.21
Ich bin noch immer so müde von gestern
Und suche bei Netflix nach einem Western
Die Jungs mit Revolvern helfen vergessen
Dass man trinkt um zu vergessen
AnnenMayKantereit - Ich geh heut nicht mehr tanzen

Ich warte noch immer darauf, dass ich wieder fühlen kann. Nach moderaten 2 1/2 Drinks wird mir klar, dass das auch keine Lösung ist. Ich werde wohl einfach warten - auch wenn ich nicht genau weiß, auf was. Im Warten bin ich schließlich Expertin. Sowieso entsteht mein ganzer "Zustand" auch nur dadurch, dass ich nie zufrieden sein kann. Ja, natürlich ist das wieder meine Schuld. Noch vor ein paar Wochen habe ich es nicht ertragen, dass ich die Dezember-Gefühle fühlen muss, jetzt sind die irgendwie weg, und das ist mir auch nicht Recht. Keine Ahnung. Ich werde in der nächsten Woche versuchen, meinen Urlaub so gut es geht zu genießen, und Anfang Januar kann ich dann x, Ende Januar hoffentlich y, und dann bin ich glücklicher. Bestimmt.

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