Montag, 15. November 2021

i can feel your soul, i can hear your last laugh // tearing trough my veins while awake at night

Freitag
Mit mehr als einer Stunde Verspätung komme ich in der Heimatstadt an. Sänk ju for trävelling wis Deutsche Bahn. Meine Mutter holt mich vom Bahnhof ab. Nachdem wir uns wochenlang nicht gesehen haben, fällt es mir leichter, mit ihr ein Gespräch zu führen. Ja - wahrscheinlich kann Distanz das Ganze vereinfachen; aber eine Verbesserung unserer Beziehung ist wohl nicht mehr möglich. Dieser - Achtung, Wortwitz - Zug ist abgefahren. (Anders gesagt: Verbesserung wäre wahrscheinlich schon möglich, würde aber Zeit und Mühe kosten. Und ich bin nicht bereit, das zu investieren. Wofür auch? Ich werde eine Mutter immer nur im biologischen, und nie im familiären Sinn haben. Und einen Vater ebenso.) Anyway: ich bin dauermüde seit Donnerstagnachmittag und befürchte, dass ich die nächsten beiden Tage mit Aktivitäten zu vollgepackt habe. (Ich muss/will einkaufen, die Wohnung putzen, im Wald spazieren gehen, in der Stadt ein paar Dinge besorgen, Familie & Kaiser treffen und Brownies backen. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.) Mal sehen, was davon tatsächlich stattfindet.

Samstag
Das Gefühl lässt sich kaum in Worte fassen. Die Wohnung ist kalt, halbleer - und doch der zweitsicherste Ort auf der Welt. Ich bin mir fast sicher, dass ich es nicht bereue von hier weg gezogen zu sein, und zähle trotzdem Gründe auf, aus denen ich nicht zurück möchte. (Keine Spülmaschine; im Sommer ist es zu warm und im Winter zu kalt; keine richtige Heizung; zu hohe Stromkosten; der Herd hat nur die Einstellungen "Ich tue gar nichts" & "Ich verbrenne dein Essen" und wegen der Dachschrägen lässt sich kaum ein vernünftiger Schrank aufstellen.) Ich mache überall sauber, weil ich keine Lust habe, das sonst an Weihnachten erledigen zu müssen. Außerdem kommt Kaiser ja morgen Nachmittag. (Habe ich schon erwähnt, dass ich mich ein bisschen unnormal sehr freue?) Ich freue mich ein bisschen unnormal sehr, weil wir uns nicht so oft sehen. Aber: die Qualität einer Freundschaft (bzw. einer jeden Beziehung) lässt sich nicht in der Anzahl der Treffen in einem Jahr messen. Jetzt muss ich dieses Wissen nur auf die Sache mit Cheza übertragen. Dann wäre ich bestimmt 100% glücklicher. Aber das möchte ich gar nicht. 100% glücklicher sein, meine ich. Es würde mir ja schon reichen, wenn. 

Ursprünglich hatte ich nicht vor, den letzten Satz zu beenden. Weil das wahrscheinlich in einem seitenlangen Rant endet. Aber dann ist mir eingefallen, wie ich es in einem Satz ausdrücken kann: es würde mir ja schon reichen, wenn wir (lies: Cheza und ich) die gleichen Rechte hätten. Und mit "Rechte" meine ich Möglichkeiten. Die gleichen Möglichkeiten; auf gar keinen Fall
m e h r. Schließlich habe ich schon jetzt Dinge, die ich nie hätte bekommen dürfen. Wie kann ich da noch mehr verlangen? Aber ich weiß, dass "gleiche Möglichkeiten" nicht reichen würden. Das ist genauso wie ich nur ein Mal wollte, dass. Und nun - unzählige Male später - ist es natürlich nicht genug. Es reicht einfach nicht. Es wird nie reichen. Ich habe Angst, dass ich mich auch nie glücklich schätzen werde. Aber dazu tut es immer noch zu weh. 

Noch einen Absatz schreiben, während ich abwechselnd auf die Uhr (22:26 Uhr) und die Flasche Vodka (zu etwa noch einem Fünftel gefüllt) starre. Ich sollte ins Bett gehen. Weil ich auch genau weiß, dass ich, wenn noch einen Vodka Lemon trinke, bis Mitternacht wach bin und mich ein weiteres Mal durch die Playlist mit Songs von Iris höre. Es fühlt sich so an, als sei ich gestern zusätzlich zu den 250 Kilometern auch ein Jahr in die Vergangenheit gereist. Ich warte noch auf die Panikattacke, weil schließlich bald Dezember ist. Aber die Panik bleibt aus. Ja, meine Gefühlslage ist der aus dem letzten Jahr sehr ähnlich, aber in den letzten Monaten hat sich genug verändert - Fortschritte; ich muss schließlich Fortschritte vorweisen, sonst reißen die* mir den Kopf ab. (Fortschritte. Also Schritte, die mich f o r t führen, an einen anderen Ort. Hätte ich wohl auch fortschreiten können, wäre ich in dieser Stadt geblieben?) Denn die räumliche Distanz ist tatsächlich sehr wohltuend. Es ist die Stille, die problematisch für mich ist. Aber das ist sie an jedem Ort. 

I can feel your soul / I can hear your last laugh
Tearing through my veins while awake at night
I can feel your soul / I can hear your last laugh
Echoing inside while I'm bathed in my cruel silence

Sonntag
Ich könnte ja etwas tun gegen die Stille. Aber ich halte mich davon ab; frage mich, wie lange es dauern würde, bis. Ob dieser Punkt überhaupt jemals eintreten würde. Mir ist bewusst, dass ich ihr da keinen Strick draus drehen sollte, weil sie es sich ja auch nicht ausgesucht hat... Aber ich kann nicht anders. Ich kann nicht anders, weil - auch wenn sie es sich nicht ausgesucht hat - sie die Umstände zumindest akzeptiert.

Stunden später sitze ich im Zug zurück in die nicht mehr ganz so neue Stadt. Meine Stimmung lässt sich nicht beschreiben. Das Wochenende war zwar gut (Kaiser wurde beim Spazierengehen und Brownies backen einfach eingespannt) aber das Gefühl kommt nicht an. Weil ich innerlich mit Strick drehen beschäftigt bin. Es ist frustrierend und kostet zu viel Energie - wie sollte es auch jemals andere Umstände geben können? Wie habe ich glauben können Jemand zu sein oder Etwas zu haben? Ich bin Niemand. Und ich habe Nichts. Nichts außer Erinnerungen an letzte Male, und einer Ahnung, die über mir schwebt.

So what do you say
Did I ever have you anyway
I so want to stay
All my separate lives
Only one is the way
Iris - Cruel Silence

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