Donnerstag, 10. November 2022

Chapter 35: Dead Letters

Ob ich wütend bin auf Dich hast Du mich am Telefon heute Nachmittag gefragt. (War das bevor oder nachdem ich Dich minutenlang angeschwiegen bzw. sämtliche meiner Sätze abgebrochen habe? Bevor oder nachdem ich in Tränen ausgebrochen bin? Bevor oder nachdem ich sagte, es sei ein Fehler gewesen, Dich anzurufen? Ich weiß es nicht mehr.) Jedenfalls: ich habe Deine Frage verneint, glaube ich; gleichzeitig habe ich nie aufgehört wütend zu sein seit dem ersten Mal. Wenn ich hier so zurücklese, stolpere ich immer und immer wieder über diese Formulierung. Wenn ich hier so zurücklese scheint es mir, als sei ich nur wirklich i c h gewesen, all die Male in denen ich diese Worte geschrieben habe. Aber das ist eine Momentaufnahme; ich bin so wütend, ich könnte das gesamte Haus in Brand setzen.

"Ich bin wütend seit Tagen."
"Und das macht mich wütend, weil."
"Ich merke wie die Wut allmählich in mir hoch kocht."
"Ja, ich bin wütend, so als könnte sie etwas dafür, dass."
"Und der Gedanke daran macht mich so wütend, dass."
"Mittlerweile werde ich wütend wenn ich daran denke."

Das mal so aus dem letzten halben Jahr. Und nichts davon habe ich Dir jemals ins Gesicht gesagt. Ebenso wenig wie das hier: es fühlt sich vorbei an seit dem letzten Mal. Manchmal nur ein klein wenig. Und vorhin am Telefon dann ein wenig mehr. Deswegen sagte ich zu Dir, der Anruf sei ein Fehler gewesen. Weil ich doch gerne noch ein bisschen länger die Augen vor den Tatsachen verschließen möchte. Ich hab einfach nicht gedacht, dass das mit dem Gehenlassen auf diese Art und Weise geschehen würde. Vielleicht war ich ein wenig naiv; hab gedacht ich wache auf eines Tages und stelle fest: Es ist so weit. Stattdessen passiert es schleichend, so als würdest Du mir aus den Händen gleiten. Und ich verspüre nicht den Impuls, Dich festzuhalten, zumindest die meiste Zeit nicht. Wir wissen ja beide um meine Ambivalenz. Das ist es, was es für mich so anstrengend macht, und heute habe ich Dich halt mit reingezogen. Ich würde mich ja entschuldigen, aber es tut mir überhaupt nicht Leid. Das tut mir Leid. Und das sind die besten Schlussworte, die es heute geben wird, denn es ist gleich 22 Uhr und ich muss meinen Koffer noch packen, für meinen Wochenendtrip in der Heimatstadt. Bei dem ich Dich nicht sehen werde, aus ... Gründen. (Aber ohne Dich macht das aus Heimatstadt einfach nur noch: Stadt. Und das sind doch Schlussworte, in denen etwas mehr an Gefühl steckt.)

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