R., ich vermisse Dich. Und ich war darauf vorbereitet, Dich zu vermissen. Aber nicht so. Mir war nicht klar, dass es sich so anfühlt, als würde mir ein Körperteil fehlen, wenn Du mir fehlst. (Immer hast Du mir gefehlt, auch wenn Du bloß in der Küche gesessen hast, ein paar Meter nur von mir entfernt. Immer hast Du mir gefehlt, wenn wir uns nicht gerade im selben Raum aufgehalten haben, weil es schöner ist mit Dir.) Und jetzt ist alles anders. Weil wir nicht nur ein paar Meter voneinander entfernt sind, oder ein paar Kilometer, sondern hunderte; hunderte Kilometer sind wir voneinander entfernt, ich hab fast vier Wochen lang kein einziges Wort gehört von Dir, bis auf ein paar Sätze auf einer Postkarte, und ich weiß nicht, ob ich Dir auch schreiben soll, oder besser nicht, weil Du ja Abstand möchtest. Und das tut weh - all diese Einzelteile tun weh, und zusammen tut's noch viel mehr weh.
Zwar sind da Sätze auf einer Postkarte - also, da sind Sätze, aber hat es denn ausgerechnet eine Postkarte sein müssen? (Ich hab ein schwieriges Verhältnis zu Postkarten. Eine Postkarte hat mein Leben gerettet. Eine Postkarte hat mir gezeigt, dass ich nicht genug für sie bin. Und dass ich nie genug sein werde, auch nicht in meinem Leben 2.0 - Postkarten sind das Symbol für Ambivalenz schlecht hin. Wenn ich mal Lust habe, ausgiebig zu weinen, lese ich mir Postkarten durch. Dann kann ich so richtig schön meiner Vergangenheit nachtrauern. Und jetzt stellt eine Postkarte mir Zukunft in Aussicht? Am. Bi. Va. Lenz.)
Sogar die beiden Postkarten-Songs, die ich kenne, könnten nicht gegensätzlicher sein. Hier ist einer davon. (Der andere: Zebrahead - Postcards From Hell. Der Vollständigkeit halber.)
Jetzt zum Inhalt, was? Oder zu Füßen, in Türen? Mal wieder? Dein Fuß, in meiner Tür, und ich wünschte, ich könnte so fest zu ziehen, weil es gefährlich ist, Dich zu brauchen; weil es gefährlich ist, überhaupt eine andere Person zu brauchen. (Aber. Mich alleine zu lassen mit mir selbst ist auch gefährlich; ich brauche Dich: es ist nicht nur schöner mit Dir, sondern auch einfacher. Manchmal komme ich mir selbstsüchtig vor. Und dann lese ich sowas.)
"Ich bin froh, dass Du Teil meines Lebens bist." Hä? Was?? Wie??? Das muss ein Tippfehler sein. Ich meine, ein Rechtschreibfehler. Ich meine: ein Fehler in der Grammatik, falsche Zeitform gewählt. "Ich bin froh, dass Du Teil meines Lebens warst" klingt viel passender; jetzt hättest Du doch die einmalige Chance, mich loszuwerden. "Ich bin froh, dass Du kein Teil meines Lebens mehr bist." (Okay, das ist zu krass, selbst für meine Verhältnisse. "Sie können sich nicht vorstellen, dass andere Personen sich für Sie interessieren" meinte mein Therapeut letztens zu mir, und damit hat er ganz Recht. Und nun ist das hier mehr als nur: Interesse.)
Aber: was zum Teufel ist das hier denn? Also, ich könnte jetzt vier Jahre Revue passieren lassen und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Ich könnte es auch runterbrechen auf das eine Wort, das mein Therapeut dafür verwendet hat - oder besser noch auf das Wort, das sie dafür verwendet hat: Seelenverwandte, aber ich weiß nicht mehr, was das bedeutet; meine Vorstellung davon liegt in Scherben. Ich weiß nicht, ob Du eine Ahnung davon hast. Eigentlich spielt das auch keine Rolle. Du hast auf jeden Fall Worte dafür gefunden; Worte mit denen ich nicht so sehr auf Kriegsfuß stehe wie mit denen auf Deiner Karte.
Doch immer noch hänge ich zwischen den Zeilen jetzt.
Zwischen den Kapiteln; unseren Kapiteln. In diesem jetzt geht es um mich ganz alleine, und der Inhalt überfordert mich. Das Leben überfordert mich. Ich hab's schon reduziert auf: Existenz und selbst das erscheint mir ein Ding der Unmöglichkeit manchmal. Fühlt sich nicht gut an, Kollateralschaden zu sein, denn mehr ist Dein Abstand brauchen im Grunde ja nicht. Du brauchst keinen Abstand von m i r. Nur von etwas, dessen Teil ich nun einmal bin. (Und bleiben werde. Mit Montag, und allem was zu ihm gehört.) Fühlt sich nicht gut an, dieses schlechte Gewissen, weil ich etwas bekomme, das [Name] verwehrt bleibt. Fühlt sich nicht gut an, diese Distanz, und dieses Schweigen, und das Nicht-Wissen. Manchmal weiß ich nicht mal mehr, was ich denn nun eigentlich will, von Dir. Das geht dann nicht konform mit meinen Wünschen - dass ich vielleicht auch etwas Abstand vertragen könnte, nur um mir zu beweisen, dass ich von Dir nicht so schrecklich abhängig bin. Natürlich könnte ich das auch alleine.
Wenn man alles richtig macht, braucht man den Wendepunkt schließlich nur ein Mal -
Falling in a circle I can't promise, but I do Life is but a spiral Spinning round, I get to you
And by the low tide I feel our walls are falling They're crumbling down to the ground Since we've been stalling
Stop this high tide, because I think I'm drowning I never learned to swim, I swear my death is coming
Es ist lediglich der Preis, den ich zahle, für mein Alles, versuche ich mir zu sagen. Es ist bloß der Preis; die Tränen und das Warten, und dass sie mir -
Und dass das Vermissen mir die Kehle zuschnürt.
Es ist lediglich der Preis, dass ich hier hänge, zwischen den Zeilen, nachdem das letzte Kapitel beendet ist, und das Neue noch nicht begonnen hat.
Ich kann noch weiter warten; auf jeden Fall kann ich das. Im Warten bin ich Experte, das habe ich perfektioniert, in jahrelanger Übung. (Fast. Perfektioniert. Ich hab noch nicht ganz herausgefunden, wie man nichts von seinem Verstand dabei einbüßt.)
Vielleicht kann ich das inzwischen besser? Weil ich mittlerweile dazu gelernt habe.
Aber ich habe auch gelernt, dass Menschen ihre Versprechen brechen.
Vielleicht, vielleicht, vielleicht, schien es deswegen für sie fast eine Selbstverständlichkeit zu sein. Wir sehen uns sagt sie, und dann bleibe ich stehen. I c h gehe nicht. Ich schaue zu, wie sie ins Auto steigt. Und dann erst schwimme ich davon.
(Montag an meiner Seite, der für das ganze Schlamassel irgendwie verantwortlich ist. Aber Montag ist mir nicht gewachsen. Er wird schon sehen.
Ich werde schon sehen. Richtig? In meinem nächsten Kapitel; es wird unser nächstes Kapitel sein. Weil wir uns jetzt loslösen können, und gesellschaftliche Konventionen unserem Uns nicht mehr im Weg stehen.)
Aber erst braucht sie ein bisschen Abstand, sagt sie, und ich habe Angst, dass sie ihre Meinung ändert. Falls sie mich loswerden möchte, hat Montag ihr den passenden Zeitpunkt auf einem Silbertablett serviert.
Sie hat mich ja aber auch nicht loswerden wollen die letzten vier Jahre, richtig? Und ich warte schon so viel länger. Ich kann noch ein bisschen länger warten; es ist lediglich der Preis, den ich zahle. Für sie; für mein Alles.
Digging our way out the sorrow Finding our way back tomorrow Discovering something inside of you I've wanted so long Auger - My Death
ich stelle den song auf repeat, so rein aus prinzip; weil die vergangenheit mir gar nichts kann. ich könnte auch feiern. in sicherheit sein - das muss ich mir heute nicht mehr begründen. (aber das musste ich mir erarbeiten, und das hätte nie so sein dürfen.) soll ich feiern, dass ich davon gekommen bin, ja? mit tausenden fragen im gepäck und noch viel mehr an gefühlen, an denen ich mir mindestens den kopf zerbreche.
ich habe das meiste irgendwo aufgeschrieben. ich habe viel geschrieben, seit der knoten geplatzt ist, sozusagen, irgendwie zwischen vierzig und fünfzig seiten, in, ich weiß nicht, den letzten vier wochen?
seit dem 15. mai; seitdem ich hinsehe.
ich sehe da nicht gerne hin. trauma sieht ausgesprochen hässlich aus. aber nützt ja nichts. man muss hinsehen; ich hab hinsehen müssen an diesem punkt, weil weglaufen nicht mehr ging, weil meine verdammten beine mich keinen zentimeter mehr weiter tragen wollten.
also hab ich mit dem kopf genickt, ich idiot, als mein therapeut mich fragte, ob.
ja. tue ich. genau davon spreche ich.
hab ich das gewusst? spielt keine rolle; hab ich niemals zugeben können. sah nämlich nicht nur hässlich aus, sondern hat sich auch ziemlich hässlich angefühlt.
ich könnte jetzt hingehen und das sagen, und seitdem fühlt mein brustkorb sich nicht mehr so an, als würde er aus granit bestehen. ich hab sogar die worte gesagt, die passen zu einem 20. juni, und ich bin mir fast sicher, dass ich ihm ein weiteres mal unter die augen treten kann. mit dem ganzen schmutz im gepäck kann ich da aufschlagen nächste woche, sicherlich kann ich das. dann werfe ich das zeug auf die müllhalde, dahin, wo es auch gehört. dreck zu dreck; und ich war nie ein teil davon. so viel weiß ich ganz sicher.
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edit: weil ich irgendwie bisschen dumm bin. eigentlich müsste ich den titel auch ändern, weil das gar nicht der song ist, auf den ich mich beziehe im ersten satz. aber das bleibt jetzt so. erinnert mich daran, dass ich mich auf einem feldzug befinde, in richtung selbstermächtigung.
Morgen steige ich in ein Flugzeug und fliege der Sonne ein Stückchen entgegen. (Völlig irreal, dass das nun wirklich passiert. So gute Dinge passieren mir nicht; sowas darf ich nicht haben.) Wenn ich wieder da bin, steht kein Stein mehr auf dem anderen - aber das ist ein Thema für Mai und ich versuche, es auch als solches zu behandeln. Meine größte Sorge gerade sollte sein, dass ich und Kätzchen zwar ankommen, aber unser Gepäck nicht. Oder dass die drei Bücher, die ich eingepackt habe, für die Zeit nicht reichen. Das wäre nun wirklich eine Katastrophe.
Und wir sind doch dem Laufe der Zeit gefolgt. Still seit einem Tag im August, vor Blicken verborgen, aber verwoben ineinander, allem zum Trotz. Dann - und hier enden die poetisch-pathetischen Worte auch schon - hast Du irgendwann beschlossen, einen Staudamm zu errichten in unserem Fluss, so wie ein Biber es tun würde, und ebenso wie bei einem Biber weiß man nicht genau, warum er das eigentlich tut. Warum stört sich der Biber an fließendem Fluss? Warum hast Du Dich gestört an mir, an uns? Warum dachte ich, Deine Gefühle zu kennen, weil Blumen, und Türme, und Träume, und habe dann plötzlich aus Deinem Mund die Worte "nicht (mehr) richtig" vernommen? Warum all das hinter verschlossenen Türen? W a r u m all das? Warum fehlen mir immer die Antworten, auf all meine Fragen; warum muss(te) ich die wenigen Worte vom Fußboden sammeln mit meinen doch so stetig zitternden Fingern? Warum: erst über-irdisch schön und dann viel zu kalt, in weißen Häusern und sterbenden Gärten? Und warum müssen wir uns trennen an den Bahngleisen, immer wieder.
(Keine Frage mehr, sondern Aussage jetzt. Ich weiß schon.) Aber Du hast mich glauben lassen, ich hätte eine Chance, wo Du doch nie mehr wolltest, als in den Sternen zu stehen, was? Das tust Du auch, für immer. Wenigstens das bleibt mir von Dir.